Was ist aus dem Karneval der Kulturen geworden?
Fotograf: Michael Flascha; Dieses Foto steht unter einer CC-Lizenz
1996 zog zum ersten Mal die bunte Karawane durch die Straßen Berlin –
Kreuzbergs, die von ca. 50.000 Zuschauern bestaunt wurden. Die
Grundidee war, der besonders in Berlin sichtbaren immer stärker
werdenden Internationalität Rechnung zu tragen und den Menschen aus
verschiedenen Kulturen und Erdteilen die Möglichkeit zu bieten, ihr Land
und ihre Kultur zu präsentieren, sich musikalisch und tänzerisch
auszudrücken. Damit sollte der Respekt und die Toleranz untereinander
und miteinander gefördert und zugleich eine Plattform geboten werden, wo
sich Berliner aller Nationalitäten begegnen um miteinander zu feiern,
sich auszutauschen und Kulturtransfer zu ermöglichen.
2002 konnte ich das erste Mal dabei sein und in der Trommelgruppe
La Forêt Sacrée, die von Rale Dominique für den Karneval der Kulturen in
Berlin gegründet und aus ca. 20 – 30 Trommler, Tänzer und Maskenträger
bestand, mitspielen und das Gänsehautfeeling erleben, was man hat, wenn
man musizierend durch die Straßen voller begeisterter Menschen läuft.
Nach einigen Jahren Pause wurde ich dann eingeladen bei der
Trommelgruppe Furioso
mitzuspielen und eine Tanzgruppe, bestehend aus Bauchtänzern und
Cheerleedern zu begleiten. Das hat allen Beteiligten Spaß gemacht, nicht nur für die Trommelgruppe aus Berlin,
besonders auch den beteiligten Kindern und Jugendlichen. Zwei Jahre
später fuhren wir auf einem Wagen, der in unseren Spielpausen
Technomusik spielte. Die Lautstärke blies uns fast das Gehirn raus, doch
was uns viel mehr überraschte, dass sich das Publikum mehr für die
Technomusik begeisterte und wir Trommler uns eher als schmückendes
Beiwerk fühlten.
Eigentlich war der Karneval damit für mich „gegessen“, ich hatte
keine Lust mehr darauf. Ich sah Leute die hinter einem Wagen mit
Elektromusik, mit über dem Kopf gezogenen Unterhosen dazu tanzten. Da
wusste ich, dass das nicht mehr meine Veranstaltung war. Doch dann sah
ich dass die Gruppe Afoxè Loni noch Mitspieler für den Karneval sucht.
Ich habe die Gruppe immer schon bestaunt, wie sie in einem Meer aus
Weißgelb den Karneval anführt und mit ihren brasilianischen und religiös
geprägten Rhythmen die Zuschauer in ihren Bann zieht.
Im
Percussion Art Center,
einem Kulturzentrum in dem international bekannte Percussionisten
verkehren, CDs aufnehmen, Workshops und Trommelkurse abhalten nahm ich
erneut Trommelunterricht, lernte die Timba zu spielen und studierte die
Rhythmen von Afoxé Loni ein. Im PAC fanden auch die Proben und die
Vorbereitung für den Karneval statt, mit teilweise bis zu 80 Trommlern.
Die Energie, Begeisterung, Kompetenz und die Ausstrahlung von Dudu
Tucci, Krista Zeissig und Murah Soares rissen mich mit! Ich war wieder
drin, im Karnevalfieber!
Doch während ich so auf der Euphoriewelle schwamm erfuhr ich, dass
die Gruppe nach 15 Jahren zum letzten Mal beim Karneval teilnehmen
sollte. Die Organisatoren waren einfach am Ende ihrer Kräfte, ausgelaugt
und fühlten sich ausgenutzt. Finanziell war das ganze nicht mehr zu
schaffen, nach dem Karneval blieben oft noch Schulden übrig. In einem
offenen Brief, der an alle Medien ging erläuterte die Gruppe warum sie
aus dem Karneval aussteigt und klagt an! Der Brief ist
hier zu lesen.
Das machte mich sehr traurig da ich gerade diese unglaubliche Energie
spüren durfte die von dieser Gruppe ausging. Dadurch bekam der Karneval
noch mal eine ganz besondere Note, eine Mischung aus Begeisterung,
Enttäuschung, Wut und Traurigkeit machte sich breit. Doch alle
Teilnehmer gaben noch mal alles und zum Schluss flossen bei einigen, die
zum Teil schon seit Beginn, vor 15 Jahren, dabei waren, einige Tränen.
Einige der Organisatoren waren danach krank oder mussten sich wochenlang
erholen. Zu groß ist einfach die Belastung die sich auf wenige
Schultern verteilte.
Fotograf: Michael Flascha; Dieses Foto steht unter einer CC-Lizenz
Sollte es das wirklich gewesen sein? Afoxé Loni ist nicht die einzige
Gruppe die sich den Karneval nicht mehr leisten kann und es werden
weitere Trommelgruppe folgen. Soll der Karneval der Kulturen zu einer
Massenveranstaltung werden bei dem es nur darum geht möglichst viel
Touristen und Berliner auf die Straße zu locken damit die Geschäfte
guten Umsatz machen? Masse statt Klasse? Elektronische Musik statt
Folklore? Elektrobeat statt Trommelgruppe?
Ich möchte mich nicht damit abfinden! Doch was könnte man tun? Zum
einen diesen Artikel möglichst weit verbreiten damit sich immer mehr
Menschen darüber Gedanken machen. Es gab bereits einige Anregungen wie
man das Ganze wieder in seine ursprüngliche Bahn zurückbringen könnte.
Was mir gut gefiel:
- den K.D.K. neu organisieren, z.B. das Tempelhofer Feld dafür nutzen
und Eintritt nehmen um das Ganze besser finanzieren zu können.
Vielleicht kämen dann ‚nur’ noch 500.000 Zuschauer statt einer Million,
aber sie bekämen dann auch etwas ganz Anderes geboten.
- Sponsoren finden die die Veranstaltung großzügig unterstützen.
Finanzelle Unterstützung sollte es den Gruppen ermöglichen wieder
teilzunehmen, indem sie die Organisation auch auf Mitarbeiter delegieren
können.
- Eine Kommission, zu der auch die Organisatoren der großen
etablierten Gruppen gehören, könnten eine Vorauswahl treffen und nur
Gruppen zulassen die wirklich ein Programm liefern das den Grundgedanken
des Karnevals unterstützt. Lieber 60 Gruppen als 160, dafür aber bunt,
interkulturell, mit Niveau!
- Die verschiedensten Kulturzentren in Berlin noch mehr in die Planung mit einbinden.
Dazu müssten sich aber die Vertreter der Senatsverwaltung mit der
Werkstatt der Kulturen
und den Organisatoren der großen etablierten Gruppen an einen Tisch
setzen und über eine Neustrukturierung reden mit dem Ziel, den
Leitgedanken wieder aufzunehmen und eine Veranstaltung auf die Beine zu
stellen die Europaweit ihresgleichen sucht.
Das sind alles nur Ideen und ich hoffe nach wie vor dass sich etwas
bewegt und die jetzige Entwicklung beim Karneval der Kulturen Berlin
gestoppt wird.
Anmerkung: dieser Beitrag steht unter dieser
CC-Lizenz und erscheint im Rahmen der von Ina Müller-Schmoß initiierten
Blogpatenschaften.